Mittwoch, 8. Juli 2015

"Mein Körper und ich"

Was ich hier schreibe, ist mir nicht leicht gefallen. Es ist meine Geschichte. Sie hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin, hat mich verändert und geformt. Es war der bisher schwerste Weg, den ich gehen musste, ein Weg, der heute immer noch nicht zu Ende ist.

Aber alles nach und nach.

Lange Zeit habe ich den Blog der lieben Fee von "Fee ist mein Name gelesen". Ich fand ihn vom ersten Moment an inspirierend und einfach wundervoll. Vor einigen Tagen dann startete sie die Blog Parade "Mein Körper und ich". Ihre Erzählung bewegte mich sehr. Sie machte mich nachdenklich und ließ mich einfach nicht mehr los. Meine Gedanken kreisten und kreisten und ich war mir sicher: Ich möchte ein Teil dieses Projektes sein.




Über das Füchschen und wie es zu dem wurde, was es heute ist


Es ist schwer, einen Anfang zu finden. Es ist schwer, überhaupt etwas zu schreiben. Denn lange Zeit war es mein Geheimnis, etwas das niemand wissen durfte, um keinen Preis: Ich bin krank. Habe Depressionen. Schon seit ich zwölf bin. Antidepressiva und Co. standen seit der offiziellen Diagnose ein oder zwei Jahre später an der Tagesordnung. Insgesamt 10 Monate stationärer Aufenthalt in der Psychiatrie und vier oder fünf Jahre ambulante Behandlung habe ich seit dem hinter mir. Meine Familie ging in dieser Zeit zu Bruch. Tagtäglich hörte ich meine Mutter heimlich weinen. Mein Vater schrie nur noch. Ein normales Gespräch war nicht mehr möglich. Meine Schwester flüchtete zu Freunden und ging ins Ausland. Ich aber war mittendrin. Ich zog mit meiner Mutter aus, packte meine Sachen und verließ mein Zuhause, ein Ort an dem ich dachte geborgen und in Sicherheit zu sein. Wir gingen und waren plötzlich nur noch zu zweit. Ich versuchte meiner Mutter so viel zu helfen, wie ich nur konnte, brachte alle Stärke auf, damit sie sich keine Sorgen um mich machen musste. Ich weinte nicht. Ich erzählte niemandem davon. Ich blieb damit alleine, denn es war ja meine Angelegenheit, so dachte ich. Auf einmal kamen Geschichten zum Vorschein, Lügen, von denen ich nicht wusste, dass sie welche waren, und nichts war mehr wie zuvor. In dieser Zeit begann meine Essstörung ...und mein Hass auf mich selbst. Keiner wusste davon, niemand kannte mein Geheinmis. Denn es war ja meine Sache und ich musste doch stark sein für meine Mutter. Doch nach und nach wurde die Unzufriedenheit gegenüber mir selbst immer größer und so begann ich mich erst zu kritisieren und dann zu hassen und zu verachten. Meinen Körper, meine Art, einfach alles. Wie konnte man mich gern haben, geschweige denn lieben, so schrecklich wie ich war? Wie konnte man seine kostbare Zeit mit mir verbringen wollen, mich um sich haben? Und so erwachte eine Stimme in meinem Kopf, die mir zuflüsterte, wie wertlos und verachtenswert ich doch sei. Und ich glaubte ihr. Plötzlich konnte ich nicht mehr lachen, mich nicht mehr freuen und setzte vor allen anderen nur noch eine Maske auf. Keiner bemerkte, dass mein Lächeln falsch war, alles nur gespielt. War ich dann alleine, begann ich zu weinen und zu verzweifeln. Woher das kam, wusste ich nicht. Ich verstand mich selbst nicht mehr und wusste nicht mehr, wer ich war. Nur das Gefühl, mich verloren zu haben, blieb, fremd zu sein. Die Dunkelheit in mir nahm immer mehr und mehr Raum ein und irgendwann waren keine Gefühle mehr in mir, die ich hätte fühlen können. Nur die grenzenlose Leere. Ich ging nicht mehr zur Schule, nicht mehr aus dem Haus und der Hass wuchs und die Stimme wurde immer lauter. Sie ließ in mir den Wunsch aufkommen, alles an mir zu ändern, alles besser zu machen... perfekt. Und so begann mein Wahn, meine Sucht, mein Kampf gegen den eigenen Körper. Verstecken wollte ich ihn, unsichtbar werden lassen, etwas so widerliches verbergen. Ja, ich hatte mich selbst angewidert. Ins Freibad gehen... das war undenkbar geworden. Enge Klamotten... so zeigte ich mich nicht einmal mehr meiner Familie. Meine Liebsten weinten... verletzt durch meine Worte, durch die eiskalte leere Hülle, zu der ich geworden war. Eiskalt und emotionslos... so beschrieb mich meine Mutter. Dass sie nicht mehr weiterwusste, begriff ich erst viel später. In diesem Moment war es nur eine Bestätigung, was ich sowieso schon fühlte. Und so baute ich weiter und weiter ab, übergab mich und hungerte, um mich schön zu fühlen und glücklich zu sein. Doch das kam niemals vor. Es kam der Tag, an dem ich mein Geheimnis nicht mehr verstecken konnte, in dem es zu offensichtlich, nein, unübersehbar war. Meiner Mutter schossen jedes Mal die Tränen in die Augen, wenn ich meinen Körper nicht richtig versteckte und sie sehen konnte, was aus ihrem Mädchen geworden war. Für meine Schwester war ich abartig. Meine Großeltern weinten. Und ich war der Grund für all das. Als ich alles nicht mehr ertragen konnte, machte ich meine erste stationäre Therapie. Nur durch starke Tabletten schaffte ich es, sie zu beenden. Ein Rückfall war vorprogrammiert. Ein Jahr schaffte ich es, mich über Wasser zu halten, ein Jahr schien für die anderen alles halbwegs gut zu sein... Doch die Stimme hatte nie zu schweigen begonnen. Und so begann alles erneut. Dieses Mal war mein Bärchen, mein Ein und Alles an meiner Seite, doch auch ihn brachte ich letztendlich zum weinen und zur Verzweiflung und verletzte ihn tagtäglich. Und so ging ich los und suchte professionelle Hilfe, damit ich ihm nicht mehr weh tun würde, doch es war zu spät und ich landete in der geschlossenen Psychiatrie. Schon zum zweiten Mal war ich dem Tode nahe, ohne davon überhaupt Kenntnis zu nehmen. Noch ein paar Tage, ein paar Wochen mehr und ich hätte meinen Körper so weit zu Grunde gerichtet, dass niemand mehr etwas für mich hätte tun können...

Doch das Schicksal hatte andere Pläne für mich. Plötzlich begriff ich, was ich wollte, was ich wirklich wollte: Leben. Glücklich sein. 
Endlich wurde mir klar, dass egal wie sehr sich mein Körper veränderte, egal wie stark ich abnahm, nichts dazu führte, dass ich zufrieden war, geschweige denn glücklich. Egal wie sehr ich meinen Körper optimieren wollte, dem gängigen mageren Schönheitsideal entsprach, nichts davon änderte etwas an meinen Gefühlen. Ich machte mir klar, dass ich in diesem Zustand nie selbstständig sein könnte, alleine leben oder eine Familie gründen könnte. Niemals könnte ich reisen, die Welt sehen oder etwas unternehmen. Niemals würde ich erfahren können, was "leben" bedeutet, denn für das Leben war ich zu schwach. So begann mein Erwachen, meine Einsicht, dass mein Äußeres mir nie Erüllung bereiten würde, sondern mein Inneres zählt. Ich arbeitete an meinem Inneren, mistete aus, räumte alles zurecht und füllte mein Inneres mit Licht. Ich begann lieb zu mir selbst zu sein, mich so respektvoll zu behandeln, wie ich mit meinen Liebsten umgehe. Ich versuchte nur noch so mit mir selbst zu sprechen, wie ich mit anderen spreche, nicht mehr verletzend und verachtend zu sein... denn so etwas bringe ich bei anderen nicht über`s Herz, wieso dann bei mir? Ich achtete darauf, was mir mein Körper und meine Seele sagte, tat die Dinge, die mir gut taten, zog mich zurück wenn ich Ruhe brauchte... und blühte auf. Mein Lachen kam zurück, irgendwann Akzeptanz mir selbst gegenüber und meine Freude. 

Heute bin ich zufrieden. Ich kann in den Spiegel schauen und denken "Hey, alles ist bestens, alles passt" und mich wohlfühlen und zeigen. Ich trage nur noch die Kleidung, die mir gefällt, egal ob sie eng oder weit ist, egal was andere darüber denken könnten. Denn schließlich muss ich mich wohlfühlen. Ins Freibad gehe ich auch wieder. Sogar im Bikini. Und das erste mal seit langem war gar nicht so schlimm, wie gedacht. Eigentlich habe ich mir überhaupt keine Gedanken mehr gemacht. Wenn mal etwas schief läuft, verzeihe ich mir Fehler, denn andere machen sie ja schließlich auch.

Und perfekt sein, will ich gar nicht mehr. Denn das einzige, dass in meinen Augen perfekt ist, ist die Unvollkommenheit. Und die macht mich zu dem, was ich bin: Einzigartig.


3 Kommentare:

  1. Danke für deinen sehr wichtigen Beitrag, ich habe dich gerade verlinkt <3

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  2. Toller Beitrag, du hast eine wirklich harte Zeit hinter dir, aber jetzt bist du glücklich und zufrieden. Das ist einzig erstrebenswert aus meiner Sicht, egal wie man aussieht. Freue mich, dass du es geschafft hast.

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  3. Vielen Dank für deine inspirierenden, mitreißenden Worte! Ich finde es toll wie mutig du bist und deine Vergangenheit verarbeitest.

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